Hilfe ist nicht gleichzusetzen mit Almosen
Dr. María Elena Moreira
Tageszeitung El Mercurio, Ecuador, Montag, 20. November 1995
Die Verabschiedung des Gesetzes in bezug auf Gewalt gegen Frau und Familie stellt eine Errungenschaft für die Menschenrechte Ecuadors dar, sagte Frau Dr. María Elena Moreira, als sie ihr Buch “Menschenrechte und Internationale Hilfeleistung” vorstellte. Sie führte aus, dass ihre Veröffentlichung einige mit dem Thema verbundene Grundaspekte enthält, wobei sie von den philosophischen Grundlagen der Menschenrechte und der Hilfeleistung ausging und letztere als eine Form unentgeltlicher Hilfe für jene sozialen Gruppen versteht, die am meisten ausgegrenzt und am schutzlosesten sind, sei es durch Naturkatastrophen, sei es durch bewaffnete Konflikte.
Hilfeleistung, so wie sie die Gründer des Internationalen Roten Kreuzes seit mehr als einem Jahrhundert verstehen, ist dazu bestimmt, wirksam und in Notfällen jene Personen zu schützen, deren Leben in Gefahr ist, ohne ihre soziale, politische oder wirtschaftliche Lage in Rechnung zu stellen. Das Buch fügt auch eine Aufzählung aller Nichtregierungs- und Regierungsorganisationen bei, die bei der Hilfeleistung mitwirken. Ausserdem wird eine Reihe von Schlussfolgerungen darüber abgegeben, was humanitäre Hilfeleistung für das 21. Jahrhundert zu sein hat.
Sie darf sich nicht nur auf eine Art von Almosen stützen, wie sie sagte, da viele Leute Hilfeleistung mit Almosen verwechseln. Denn der erstgenannte Ausdruck versteht sich als eine Verpflichtung nicht nur von Personen, die sich diesem Bereich widmen, sondern auch als eine Verpflichtung der Gesamtgesellschaft. Sie fügte hinzu, dass Menschenrechte es nicht nur mit körperlicher und persönlicher Unversehrtheit oder mit Meinungsfreiheit zu tun haben, sondern auch mit der sozialen Entwicklung der Völker. “Was nützt es, dass es in einem Land keine Gefolterten gibt, wenn die Leute Hungers sterben?” fragte sich Frau Dr. Moreira.
Dr. María Elena Moreira
Tageszeitung "El Comercio", Ecuador
Als der Schwede Lars Augustin Mannerheim, der erste Volksverteidiger, von dem man zumindest in der heutigen Zeit weiss, nach seiner Wahl durch das Parlament seines Landes am 1. März 1810 sein Amt antrat, ahnte er vielleicht noch nichts von der Auswirkung, die diese ehrenwerte und zutiefst demokratische Einrichtung auf Weltebene haben würde. Sie entstand ausgerechnet in Schweden, und zwar unter dem Namen “Ombudsman”, und wurde im gegenwärtigen Jahrhundert in die Rechtsordnung mehrerer Länder aufgenommen.
Seit ihrem Entstehen zeichnete sich die Einrichtung des “Ombudsman” durch vier wesentliche Eigenschaften aus, ohne die sie ihre Daseinberechtigung verlieren würde: die Unabhängigkeit von jeglicher anderen Funktion, sei sie exekutiver, legislativer oder judikativer Natur. Ihre Hauptrolle und für die sie geschaffen wurde, nämlich die der Verteidigung aller Personen gegenüber den Aktionen oder Unterlassungen der öffentlichen Verwaltung, zeigt sich in den Merkmalen der Zugänglichkeit, indem sie jedem Bürger einen unmittelbaren Zutritt zu ihr ohne Mittelspersonen gestattet, dass heisst, ohne den Beistand eines Rechtsanwalts, um Klagen gegen Handlungen zu führen, die gegen den Genuss und die Ausübung grundsätzlicher Rechte und Freiheiten verstossen. Ein weiteres Merkmal ist die Flexibilität bei der Durchführung rascher Verfahren, die keine unnötigen Formalitäten erfordern und die kostenlos sind. Das Merkmal der Glaubwürdigkeit ist eine Folge der Unabhängigkeit, die dem “Ombudsman” in höherem oder geringerem Masse gewährt wird. Denn wenn diese Einrichtung, die von sich aus einer Gesellschaft eine gewisse juristische Sicherheit garantiert, dem politischen Hin und Her ausgesetzt wäre mangels völliger Unabhängigkeit von anderen staatlichen Funktionen, würde ihre Glaubwürdigkeit beträchtliche Einbussen erleiden.
Diese dem “Ombudsman” eigenen Merkmale haben ihm seit seiner Schaffung gestattet, weitgehende rechtliche und moralische Vollmachten zu übernehmen, und das sowohl bei der Befugnis, Fälle zu untersuchen als auch um von den beteiligten Beamten Informationen einzuholen sowie bei der Ausarbeitung und Veröffentlichung seiner Empfehlungen in den Massenmedien. Das gibt dem “Ombudsman” eine grössere moralische Stärke, und von daher erhöht sich seine Glaubwürdigkeit, da er den Rückhalt der öffentlichen Meinung geniesst. In Ecuador wurde die Volksverteidigung mit den Verfassungsreformen von 1991 eingeführt, als ihre Schaffung in Art. 29 der Politischen Charta festgelegt wurde. Diese bestimmt, dass der Volksverteidiger nationale Gerichtsbarkeit, Immunität sowie politische, wirtschaftliche und verwaltungsmässige Autonomie besitzen muss. Er soll vom Nationalkongress gewählt werden und hat dieselben Bedingungen zu erfüllen wie diejenigen eines Justizbeamten des Obersten Gerichtshofes. Mit der Einführung des “Ombudsman” in unsere Rechtsordnung versuchte man, einen tatsächlichen und effektiven Schutz der Grundrechte zu erreichen, und das vor allem in einer Gesellschaft wie der unsrigen, die sich in den letzten Jahren an Verstösse gegen die Menschenwürde ge-wöhnt hat, weil sie nicht über einen von politischen Mächten unabhängigen Organismus verfügt, der ihr eine Rechtssicherheit gewährt und ihr das Vertrauen in die Einrichtungen des Staates wiederzugewinnen hilft.
In der Hoffnung, dass das Grundgesetz der Volksverteidigung vom Nationalkongress von Ecuador verabschiedet wird, erwartet die öffentliche Meinung, dass diejenigen, die besagtes Gesetz formuliert haben, sich der von uns erwähnten wesentlichen Merkmale bewusst werden. Denn ohne diese wäre der Volksverteidiger nur ein bürokratischer Organismus mehr, eine zusätzliche politische Beute der sich ablösenden Regierungen, wie es leider mit der Rechtspflege geschah, deren Glaubwürdigkeit gerade wegen dieses Umstands aus der öffentlichen Meinung fast verschwunden war. Deshalb ist es wichtig klarzustellen, dass der Nationalkongress als Amtsträger der Volksverteidigung einen Fachmann von anerkannter Befähigung und moralischer Glaubwürdigkeit sowie von völliger politi-scher Unabhängigkeit einsetzen muss, und der wenn möglich unter den von Universitäten, Rechtsanwaltsschulen und Menschenrechtsorganisationen vorgeschlagenen Kandidaten ausgewählt werden sollte.
Dr. María Elena Moreira
Tageszeitung El Comercio, Ecuador, Donnerstag, 21. November 1996
Mit dem Titel “Armut und das Gespenst der Freiheit” beginnt der Essay der uruguayischen Schriftsteller Francisco Bustamante und María Luisa González, in dem sie Bezug nehmen auf wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Heute, da man in Rom den Weltgipfel für Ernährung und Armut abhält, erhalten diese Rechte im Rahmen der “Menschenrechte” eine grössere Gültigkeit. Nicht ohne Grund glaubte man, dass die vollständige Ausübung von Grundrechten der Person ihren stärksten Ausdruck findet in den sogenannten bürgerlichen und politischen Rechten, so wie sie schon in der am 10. Dezember 1948 von der Vollversammlung der Vereinten Nationen angenommenen Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und im ebenfalls von der am 16. Dezember 1966 ratifizierten Vollversammlung festgeschriebenen Internationalen Pakt für Bürgerliche und Politische Rechte festgeschrieben worden sind. Letzterem zufolge werden den Prinzipien der Allgemeinen Erklärung grössere Priorität und von daher den Verpflichtungen der Unterzeichnerstaaten beider juristischer Dokumente grössere Verbindlichkeit beigemessen.
Obwohl das enorme und ausgedehnte rechtliche Ineinandergreifen des Schutzes der Menschenrechte aus den Grundlagen der Französischen Revolution von 1789 entstanden war, die sich in den Parolen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit niederschlugen und direkten Bezug nehmen auf die Respektierung und den Schutz, den die Staaten und Individuen den bürgerlichen und politischen Rechten der Einzelpersonen zu gewähren haben, hat die gegenwärtige Doktrin dennoch in Betracht gezogen, dass die vollständige Ausübung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte den Vorhof bildet zum tatsächlichen Genuss der bürgerlichen und politischen Rechte. Von daher die Bedeutung, die die internationale Gemeinschaft heute dem Pakt für Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte beimisst, der von der Vollversammlung zum gleichen Zeitpunkt wie der Pakt zu den Bürgerlichen Rechten angenommen worden war. Dieser Pakt betont im dritten Absatz der Vorrede wörtlich: ”Man muss zugeben, dass entsprechend der Allgemeinen Menschenrechtserklärung das Ideal des freien sowie von Angst und Elend befreiten Menschen nur dann verwirklicht werden kann, wenn Bedingungen geschaffen werden, die es jedem einzelnen gestatten, seine wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte zu geniessen, und das sowohl in seinen bürgerlichen als auch in seinen politischen Rechten...” Ausgehend von diesem Ideal blickten und blicken auch heute noch die internationalen Organisationen mit Sorge auf das schreiende Problem der weltweiten Armut. Aus diesem Grund veranlasst uns dieser Gipfel, der nicht der erste ist, der in bezug auf diese Angelegenehit einberufen wurde, über die internationale Realität nachzudenken, in der die sogenannten Dritte- Welt-Länder leben.
Es ist müssig, die von der FAO anlässlich des Gipfels vorgelegten kalten Statistiken zu erwähnen: 680 Millionen Personen werden gegen Ende des 20. Jahrhunderts Hunger leiden, von denen 250 Millionen in Afrika und 80 Millionen in Lateinamerika leben werden; oder was die Soziologen über unser Land ausgesagt haben, wo 75% der Bevölkerung in mittlerer und extremer Armut lebt. So bleiben 15% übrig, die zufriedenstellende Lebensbedingungen geniessen, von denen 5% 60 mal höhere Einkommen besitzen als die Ärmsten. So werden Freiheit, Gleichheit und Demokratie zu leeren Floskeln, wenn der Mensch Hunger leidet.
50 Jahre Allgemeine Menschenrechtserklärung und weltweite
Gerechtigkeit
Dr. María Elena Moreira
Zeitschrift Campus, FEUCE-Q Ecuador 1989
Die Visionäre, die sich vor einem halben Jahrhundert am 10. Dezember 1948 im Palast Chaillot von Paris versammelt hatten, um der Menschheit die Allgemeine Menschenrechtserklärung zu präsentieren, unter anderem der Friedensnobelpreisträger Prof. René Cassin, Frau Eleanor Rossevelt und der ecuadorianische Dichter und Diplomat Jorge Carrera Andrade, der eine hervorragende Rolle bei der Ausarbeitung, Abfassung und Bewilligung dieser grundlegenden Charta spielte, konnten sich vielleicht nicht vorstellen, dass der Einfluss dieser Dokumente die in der konventionellen und gewohnheitsmässigen Praxis der Staaten tief verwurzelten Vorstellungen und Prinzipien verändern würden, als da sind die Vorherrschaft jener über den Einselmenschen und die Verteidigung der Staatshoheit bis zum äussersten gegenüber der Würde der Bürger, und dass gerade nach Ablauf der 50 Jahre der Erklärung Lehren in die Tat umgesetzt wurden, die jenen von vor 50 Jahrzehnten eine geringere Bedeutung beimessen.
Aber Jorge Carrera Andrade legte schon einige Entwürfe dieser neuen Doktrin vor, die die Bedeutung jener früheren Prinzipien abschwächte, so als würde er schon von weitem erkennen, dass diese Kriterien zu irgendeinem Zeitpunkt der Geschichte nach Annahme der Allgemeinen Erklärung zur Ausführung kommen werden. So behauptete er in seiner Rede vor der Generaldebatte der Dritten Kommission vom 1. Oktober 1948, die sich mit der Ausarbeitung der Erklärung befasste: “Der Mensch hat den Sieg errungen über die Todesmaschinen, entfesselt von blinden Staaten in ihrem Verlangen, schwachen Ländern ihren imperialen Stempel aufzudrücken und sich der Schlüssel zu unserem Planeten zu bemächtigen. Aber Nationen gehen vorüber und der Mensch bleibt. Diese simple Vorstellung vom Menschen als einem unpersönlichen und vielfältigen Erdbewohner wurde in diesen wirren Epochen bisweilen vergessen von unmenschlichen nationalistischen Dokrinen, die die Welt unter künstliche politische Stürme zu begraben trachteten. Ehe wir Bürger sind, sind wir Menschen. Unsere Rechte können nicht vor nationalen Mauern oder Grenzen haltmachen, denn sie sind durchlässiger als diese zufälligen Strukturen.” Die hier erwähnte Doktrin erfuhr ihre grösste theoretische Bestärkung durch die Annahme der Erklärung und des Wiener Aktionsplans von 1993, in dem die Allgemeingültigkeit der Menschenrechte leidenschaftlich anerkannt wurde unter Hinweis darauf, dass “obwohl ihre Förderung und ihr Schutz Pflicht der Staaten ist, die Internationale Gemeinschaft ebenfalls ein berechtigtes Interesse an der Sache hat”.
Die Menschheit ist an der Schwelle des 21. Jahrhunderts dazu aufgerufen, der Geburt eines neuen Zeitalters in Sachen Menschenrechte beizuwohnen. Denn mit der Stärkung des Prinzips der allgemeinen Gerechtigkeit, das sich als Ergebnis jener Doktrin schon vor 50 Jahren abzeichnete, ist die grenzüberschreitende Verfolgung von Terrorismus, Völkermord, Folter und Verschwinden von Personen juristisch gerechtfertigt. Und das nicht nur, weil die internationale Doktrin es so festschreibt, sondern weil die internationale Bekämpfung von Verbrechen gegen die Menschheit ihre rechtliche Stütze findet in den Urteilen der Gerichtshöfe von Nürnberg und Tokio, in der Abmachung gegen den Völkermord von 1948, die schon zu ihrer Zeit das erwähnte Prinzip und die Abmachung gegen Folterung und andere Behandlungen oder grausame, unmenschliche oder erniedrigende Strafen von 1984 in die Praxis umsetzten. Gerade diese letzte Abmachung weist in ihrem Artikel 8, Absatz 4 darauf hin, dass “zwecks Auslieferung unter Partnerstaaten in Erwägung gezogen wird, dass die Verbrechen nicht nur dort, wo sie stattfanden, sondern auch im Territorium der Staaten, die in ihrem Rechtsgebiet diese Delikte als solche zu bezeichnen verpflichtet sind, begangen wurden”. Diese Normen be-stimmen, dass anhand des Abkommens zur Folter der Folterer verfolgt werden kann, wo immer er sich auch im Territorium der Partnerstaaten des Abkommens befindet. Denn es wird vorausgesetzt, dass mutmassliche Autoren von Folterakten im Partnerstaat, wo sie ihre Straftaten begangen haben, abgeurteilt werden können. Diese Norm stellt deshalb eine allgemeine Gerichtsbarkeit zur Aburteilung des Folterverbrechens auf. Und damit wird das Argument widerlegt, dass es unmöglich ist, nationale Gesetze für diese Fälle überterritorial anzuwenden.
Andererseits hat die Akzeptierung des Statuts des Internationalen Gerichtshofs durch die meisten Staaten in Rom im Juli des Vorjahres auch die Doktrin der allgemeinen Gerechtigkeit in Sachen Menschenrechte bestärkt. Diese bedeutsamen rechtlichen und doktrinären Fortschritte geben Anlass zu der Hoffnung, dass die erleuchtenden Prinzipien der Allgemeinen Erklärung zur täglichen Wirklichkeit werden für Männer, Frauen und Kinder des Planeten und dass, wie vor 50 Jahren Jorge Carrera Andrade bekundete, wir “der Geburt einer übernationalen Wirklichkeit beiwohnen, und das aus freiem Willen der Nationen, die begreifen, dass isolierte Hoheitsrechte nicht ausreichen, um den Weltfrieden zu errichten und aufrechtzuerhalten”. Diese Geburt nahm mit der Akzeptierung der Erklärung konkrete Formen an, und alle Völker der Welt zollen ihr Tribut, weil sie für die gesamte Menschheit ein äusserst wertvolles Werkzeug für Förderung und Schutz der Grundfreiheiten aller Menschen geworden ist.
Die Ausübung des
Anwaltsberufs und die Menschenrechte
Dr. María Elena Moreira
Quito, 15. Februar 2002
Es hat den Anschein, als ob das Thema Ausübung des Anwaltsberufs und seine Verbindung mit den Menschenrechten sowohl von den Berufsjuristen selbst als auch von der Gesellschaft klar verstanden worden ist.
Angesichts der Tatsache, dass in einigen Fällen dieser Beruf sich nicht an die Gerechtigkeit gehalten hat und sich vor allem nicht gerade durch eine transparente und unbestechliche Handlungsweise auszeichnete, wurde der edle und würdige Rechtsanwaltsberuf mit dem Stigma einer Karriere behaftet, die ihre moralischen Qualitäten eingebüsst habe. Man könnte natürlich damit argumentieren, dass wegen des unmorali-schen Vorgehens einiger weniger wir alle uns damit konfrontiert sehen, dass unser Beruf in Misskredit geraten ist und dass in nicht wenigen Fällen alle Rechtsanwälte für korrput und skrupellos gehalten werden.
Deshalb halte ich es für angebracht, dass man bei der Begehung des Tages des Rechtsanwalts über die bedeutenden moralischen Werte dieses Berufs und vor allem über seine enge Verbindung mit der Anwendung der Menschenrechte nachdenkt. Die Zehn Gebote des Rechtsanwalts weisen darauf hin, dass es unter anderem Aufgabe des Rechtsanwalts ist, zu “lernen”, das heisst, sich in allen Zweigen der Rechtswissenschaft ständig zu vervollkommnen. Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, erfordert der mit der Förderung und Respektierung der Menschenrechte verbundene Rechtsberuf zum Beispiel eine beharrliche, ständige und harte Bemühung um Weiterbildung und Vervollkommnung. Die meisten Fälle von Menschenrechtsverletzung, bei denen kein angemessener Schadensersatz erfolgte oder bei denen es zu einer offenkundigen Straflosigkeit kam, geschehen nicht nur aufgrund einer vielschichtigen und fragwürdigen Rechtspflege, sondern auch, weil der Rechtsanwalt in diesem heiklen Thema nicht genügend ausgebildet ist. Der Rechtsanwalt muss die gesamte internationale und nationale Gesetzesregelung zur Respektierung der Menschenrechte von Grund auf kennen und sich die Rechtsfortschritte zunutze machen, die kürzlich zugunsten der Anwendung individueller und kollektiver Garantien sowohl auf internationaler Ebene als auch im Bereich des internen Rechts eingeführt wurden.
Die 10 Gebote des Rechtsanwalts betonen auch, dass es seine Aufgabe ist, sich für das Recht einzusetzen, aber an dem Tag, wo das Recht mit der Gerechtigkeit in Konflikt gerät, hast du für die Gerechtigkeit zu kämpfen. Dieses wertvolle Gebot auf dem Gebiet der Menschenrechte tritt deutlich und objektiv zutage, wenn die anzuwendende Gesetzesregelung der Gerechtigkeit, der Billigkeit und den international anerkannten Prinzipien des ius cogens widerspricht. Der Rechtsanwalt muss auf Widersprüche in diesem Sinne gefasst sein und hat sie zu überwinden, unterstützt und orientiert von der Doktrin und den allgemeinen Prinzipien des internationalen Rechts, die die Situation des Einzelmenschen über jede überholte und zur Würde der Individuen und der Gemeinschaft in Widerspruch stehenden Anordnung stellen.
Das Prinzip der Loyalität gegenüber dem Klienten, dem Gegner und dem Richter ist von entscheidender Bedeutung. Der Prestigeverlust, den der Beruf erlitten hat, erklärt sich gerade aus der Tatsache, dass er für rein lukrative Zwecke und persönliche Interessen missbraucht und nicht im Kampf um Gerechtigkeit ausgeübt wurde, gestüzt auf feste morali-sche Grundsätze, die eine durchlässige, ehrliche Ausübung gestattet, frei von Eigennutz, der sich gegen die Rechte der anderen richtet. Auf dem Gebiet der Menschenrechte gewinnt das Prinzip der Treue zur Gerechtigkeit noch mehr an Bedeutung aufgrund des heiklen Charakters der mit Füssen getretenen Rechte, was oft die völlige Vernichtung eines Individuums oder einer Gemeinschaft nach sich ziehen kann. Der Rechtsanwalt muss sich dieser schweren Verantwortung bewusst sein und jederzeit eine an Wahrheit und Recht gebundene Berufsausübung anstreben, selbst wenn das ein Aufgeben wirtschaftlicher oder persönlicher Interessen bedeuten würde.
Toleranz ist äusserst wichtig, um eine Gesellschaft zu errichten, die sich auf dem Weg zur Respektierung der Menschenrechte für alle ihre Einwohner befindet. Wenn ein Rechtsanwalt keine klare Vorstellung von diesem Prinzip hat und keine Unterschiede anzuerkennen vermag, wird es ihm schwerfallen, Opfer einer solchen Intoleranz zu verteidigen. Denn er selbst ist nicht in der Lage, den wahren Sinn von Solidarität und folgerichtig von Gerechtigkeit zu erkennen.
Viele haben den Glauben an das Recht verloren, gerade weil der Beruf unehrenhaft und ungerecht ausgeübt wurde. Wir Rechtsanwälte können die Schuld nicht den Einzelnen zuschieben, wenn einige es vorziehen, die Gerechtigkeit in die eigene Hand zu nehmen, sofern wir in uns selbst keine klare Verpflichtung zur Verteidigung der Gerechtigkeit bis zur äussersten Konsequenz gefunden haben trotz der Vielschichtigkeit eines gesetzlichen, richterlichen und strafrechtlichen Systems, das die Erwartungen eines wahren und würdigen Schutzes aller bürgerlichen Rechte nicht erfüllt hat, und wenn einige von uns sich der in grossem Masse in der Justizverwaltung herrschenden Ungerechtigkeit und Korruption schuldig gemacht haben.
Vielleicht benötigen wir das Prinzip der Geduld, um die Berufsausübung zu verbessern, damit wir ein anteilnehmendes, demokratisches und egalitäres Rechtssystem errichten können, in dem niemand ausgeschlossen bleibt.
Das Recht auf
Ausbildung und Entwicklung und seine Anwendung in
Indianerbevölkerungen
Dr. María Elena Moreira
Artikel übersetzt ins Japanische und veröffentlicht im Buch “Eigenständige Entwicklung und Ausbildung” von Frau Prof. Hiromi Ehara, Tokio 2003
1. Einführung
In einem kurzen Aufsatz die Vielschichtigkeit des Rechts auf Ausbildung und auf Entwicklung zu behandeln, ist eine sehr schwierige Aufgabe. Deshalb möchte ich mich auf allgemeine Betrachtungen über die Einbeziehung beider Rechte in das internationale Menschenrecht und auf einen kurzen Abriss über ihe Anwendung in Indianergemeinden und –bevölkerungen beschränken. Denn diese zeichnen sich durch besondere Merkmale aus, die berücksichtigt und respektiert werden sollten, damit die Anwendung dieser Rechte im Rahmen ihrer eigenen Weltanschauung und Kulturenvielfalt vonstatten geht.
2. Das Recht auf Ausbildung und auf Entwicklung im Internationalen Menschenrecht
2.1. Das Recht auf Ausbildung ist vom internationalen Menschenrecht in internationalen Verträgen und Abkommen zu dem Thema, die für die Partnerstaaten und für die Internationale Gemeinschaft verbindlich sind, ausdrücklich anerkannt. So garantiert der im Jahre 1966 von der Vollversammlung akzeptierte Internationale Pakt für Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte in seinem Artikel 13 dieses Recht. Besagter Artikel weist darauf hin, dass die Ausbildung darauf ausgerichtet sein soll, “die Respektierung der Menschenrechte zu stärken und alle Personen darin zu schulen, wirksam an einer freien Gesellschaft teilzuhaben, Verständnis, Toleranz und Freundschaft unter allen Nationen sowie unter allen rassischen, ethnischen oder religiösen Gruppen den Vorrang zu geben...”
Obwohl diese Norm des Recht auf Ausbildung in kurzen Zügen umreisst, stellt sie doch keine spezifischen Mechanismen zu seiner Anwendbarkeit auf, bsonders im Hinblick auf soziale Gruppen unterschiedlicher Kultur oder auf solche, die sich durch eine ausgeprägte Kulturenvielfalt auszeichnen, wie zum Beispiel die Indianergemeinschaften. Was das Recht auf Ausbildung anbetrifft, so nimmt der Artikel 13 des Pakts fast wörtlich das von der Allgemeinen Menschenrechtserklärung in ihrem Artikel 26 Formulierte auf.
Das am 27. Juni 1989 unterzeichnete Abkommen 169 zu Indianer und –Stammesbevölkerungen in unabhängigen Ländern legt dagegen deutlich die Mechanismen zur Anwendbarkeit des Rechts auf Ausbildung in Indianergemeinschaften fest. Das Recht auf Ausbildung der Indianergemeinschaften ist in den Artikeln 26, 27, 28 und 29 des erwähnten Paktes garantiert. Das Recht auf Ausbildung ist sogar gekoppelt mit der Benutzung der Massenmedien zur Förderung der Ausbildung (Artikel 30 und 31). Der Artikel 27, Absatz 1, ist besonders wichtig für das Thema, das uns beschäftigt. Die Norm besagt: “Die für die daran interessierten Völker bestimmten Ausbildungsprogramme und –dienstleistungen müssen in Zusammenarbeit mit diesen abgewickelt und angewandt werden, um ihren besonderen Bedürfnissen zu entsprechen, und müssen ihre Geschichte, ihre Kenntnisse und Techniken, ihre Wertsysteme und alle ihre übrigen sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Bestrebungen mit einbeziehen”.
Eine weitere grundlegende Norm des Abkommens 169 ist der Artikel 27, Absatz 3, der die Staaten dazu verpflichtet, das Recht der Indianervölker auf “Schaffung ihrer eigenen Institutionen und Ausbildungsmittel” anzuerkennen. In einigen lateinamerikanischen Ländern sind zum Beispiel schon zweisprachige interkulturelle Ausbildungssysteme eingeführt worden, die genau diese erwähnte Norm zu erfüllen versuchen. Diese Systeme richten ihre Anstrengungen auch darauf aus, die Lehrinhalte in den eigenen Indianersprachen zu vermitteln, so wie es der Artikel 28 des Abkommens vorschreibt. In Ecuador zum Beispiel, einem Land, in dem das zweisprachige interkulturelle Bildungssystem seit 1989 vorangetrieben wird, sind Anstrengungen unternommen worden, um auch die Politische Verfassung der Republik in Indianersprachen (Quichua und Shuar) zu übersetzen; ebenso wurde der Nationale Plan für Menschenrechte in die Quichuasprache übersetzt, und es wurden Fernseh- und Radiowerbespots über Menschenrechte in autochthonen Sprachen ausgearbeitet, um dem im Artikel 30 des Abkommens Festgelegten zu entsprechen, das die Benutzung aller verfügbaren Massenmedien zur Verbreitung der Bildung für Indianer sowie der Rechte und Pflichten dieser Bevölkerungsgruppen in ihren eigenen Sprachen zur Pflicht macht.
2.2. Das Recht auf Entwicklung wurde zum ersten Mal ausdrücklich anerkannt, und zwar in der am 11. Dezember 1969 verkündeten Erklärung Fortschritt und Entwicklung im sozialen Bereich und später in der 1986 akzeptierten Erklärung zum Recht auf Entwicklung, welches eine Verbesserung des vorhergegangenen darstellte. Denn in dieser letzteren wurde zum ersten Mal das Recht auf Entwicklung als “ein unveräusserliches Menschenrecht” (Artikel 1) anerkannt. Obwohl dieses Recht seit der Schaffung der Vereinten Nationen schon latent vorhanden war, ist es erst zu diesem Zeitpunkt ins Internationale Menschenrecht aufgenommen worden, allerdings nicht mit verbindlichem Charakter, da es von einer Erklärung und nicht in einem Vertrag anerkannt worden war. In gleicher Weise wie das Recht auf Umwelt und die Rechte der Indianer reiht sich das Recht auf Entwicklung in die sogenannten “Kollektivrechte” ein, die kürzlich von der internationalen Gemeinschaft als solche anerkannt worden waren, so wie es der Wiener Aktionsplan von 1993 in seinem Paragraphen 11 des Kapitels I aufnimmt: “Das Recht auf Entwicklung ist so zu verwirklichen, dass es billigerweise die Bedürfnisse in Sachen Entwicklung und Umwelt der heutigen und zukünftigen Generationen befriedigt”. Die Konferenz von Wien erkannte auch die unlösbare Verknüpfung von Recht auf Entwicklung und Unteilbarkeit sowie die Verflechtung aller Menschenrechte an.
Was das Thema Entwicklung und Indianer anbetrifft, so stellte die Konferenz von Wien eine direkte Verknüpfung beider Aspekte her, wobei sie im Paragraphen 20 von Kapitel I darauf hinweist: “sie erkennt die innnewohnende Würde und den unvergleichlichen Beitrag der indianer zur Entwicklung und zum Pluralismus der Gesellschaft an und wiederholt entschieden die Entschlossenheit der internationalen Gemeinschaft, ihnen wirtschaftliches, soziales und kulturelles Wohlergehen sowie den Genuss der Vorteile einer bewahrenden Entwicklung zu garantieren. Die Staaten haben die völlige und freie Teilnahme der Indianer an allen Bereichen der Gesellschaft, vor allem in sie betreffenden Fragen, zu garantieren”. Diese auf der Wiener Konferenz von den Staaten verkündeten Vorsätze lassen die Notwendigkeit erkennen, dass die bewahrende Entwicklung der Indianervölker in direkter Verbindung mit ihrer Weltanschauung und Kulturenvielfalt zu stehen hat.
3. Schlussfolgerungen :
Bei einer kurzen Durchsicht der internationalen Normen, die das Recht auf Ausbildung, das Recht auf Entwicklung und seine Verknüpfung mit den Rechten der Indianervölker anerkennen, mag man zu dem Schluss kommen, dass die Anwendung dieser Rechte im sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Rahmen der beteiligten Völker zu erfolgen hat.
Die Arbeitsgruppe Indianervölker der Vereinten Nationen betonte während ihrer 19. Sitzungsperiode in aller Deutlichkeit die “negativen Auswirkungen einiger Entwicklungsprojekte auf die Indianervölker “. Viele Indianer bewohnen Zonen, in denen ein Überfluss an natürlichen Reichtümern herrscht. Die Indianergemeinden haben Anzeige erstattet, dass man sie oft im Namen der nationalen Entwicklung aus ihren Gebieten vertrieben oder die Interessen bzw. Prioritäten der Indianer nicht berücksichtigt habe, bevor man Entwicklungsaktivitäten in den Zonen mit grösserem indianischen Einfluss gestartet hatte. Nach Auffassung der erwähnten Arbeitsgruppe “haben Entwicklungsaktivitäten in Indianergebieten oft zu Ausgrenzung, Einschleppung von Krankheiten, sozialen Problemen (Alkoholismus und Missbrauch gewisser Substanzen), Armut, sozialem Zerfall, häuslicher Gewalt und Abwanderung in die städti-schen Zentren geführt, wo die Indianer sich einer offenen und systematischen Diskriminierung und dem Verlust ihrer Identität ausgesetzt sehen.”1
Daraus folgt die dringende Notwendigkeit, die Indianervölker vor den negativen Auswirkungen von Entwicklungsprojekten zu schützen, ein Anliegen, das von Regierungen und von mit der Entwicklung befassten multilateralen Organisationen aufgegriffen werden muss. Die vorhin erwähnte Arbeitsgruppe schlägt vor, dass dieser Schutz nicht nur durch direkte Befragung der Indianer zu den Projekten und die Erhaltung ihrer Zustimmung erfolgen, sondern auch garantieren sollte, dass diese Bevölkerungsgruppen aus solchen Projekten Nutzen ziehen könnten, und zwar durch eine Art gemischter Unternehmen oder in Form von Aktienbeteiligung am besagten Projekt. Zum Beispiel in dem Fall, wo ein bestimmtes Projekt zur Folge hat, dass eine Bevölkerungsgruppe in ein anderes Territorium umgesiedelt werden muss, sollte dieses Volk eine Entschädigung erhalten und die Möglichkeit zur Rückkehr haben, so wie es der Vertrag 169 der OIT vorsieht. Es ist schwierig, aber nicht unmöglich, diese Ziele zu erreichen, nämlich dann wenn das Prinzip des ständigen Dialogs mit den Indianern über jedes andere staatliche oder private Interesse den Vorrang hat.
Anmerkungen